betül ulusoy

„Du bist so stark!“

Wir sitzen in einem Café und sind vertieft in unser Gespräch. Plötzlich stellt sich eine Frau zwischen uns. Sie spricht, als hätte sie vorher ein Drehbuch geschrieben und alles auswendig gelernt. Jedenfalls scheint sie sich in ihrem Kopf ein Szenario über uns zusammengestellt zu haben. Das Genre ist wohl Komödie, denke ich. Ich hätte sicher gelacht, wäre ich mit den Gedanken nicht woanders, als sie uns berieselt. Eigentlich berieselt sie gar nicht uns, sondern ihn allein. Ich werde im Grunde ignoriert. Nicht ein mal blickt sie zu mir. Stattdessen hat sie ihn fest im Blick. Meinen Peiniger. So steht es zumindest in ihrem Drehbuch.

“Jede Religion, die eine Ungleichheit der Geschlechter predigt, ist eine terroristische Organisation”, sag sie. “Wer Frauen bedeckt, ist ein Terrorist. Du bist ein Terrorist!”, sagt sie.

Er schaut sie an, wortlos, ausdruckslos. Gerade noch hatte er eine Philosophie-Klausur geschrieben, jetzt war er schon zum Terroristen mutiert.

Ich weiß nicht genau, ob uns die Situation eher überfordert oder eher langweilt. Ich möchte eigentlich unser Gespräch weiter führen, statt meine kostbare Pause mit Belehrungen und Unterstellungen einer wildfremden Frau zu verschwenden. Sie würde eh nichts annehmen, was ich ihr jetzt sagen würde. Jemand, der einen nicht ansieht, ohne Vorstellung oder Begrüßung, ohne Punkt oder Komma spricht, ist nicht gekommen, um zu verstehen.

Die Situation wirkt surreal. Eigentlich höre ich ihr schon lange nicht mehr zu. “Warum wartest du eigentlich ab, bis sie aufhört, damit du weiter reden kannst und lässt das über dich ergehen? Bist du verrückt geworden?”, frage ich mich und wende mich im selben Augenblick wieder ihm zu. Endlich habe ich die Ohnmacht durch den plötzlich über uns eingebrochenen Redeschwall überwunden. In diesem Moment ist auch sie so weit, zu gehen.

Ihr Drehbuch sieht aber wohl noch einen 2. Akt im Café vor. Denn an der Tür bleibt sie stehen, dreht sich noch einmal zu uns um und ruft durch den ganzen Raum etwas von Unterdrückung, Terrorismus und Islam. Ein paar Leute drehen sich um, manche lachend, einige ratlos. Kurz darauf ist sie wirklich verschwunden.

Später tat mir nur eine Sache an der ganzen Situation leid: Er. Er saß neben einer Frau, die sich für das Tragen eines Kopftuchs entschieden hatte. Das reichte aus, um öffentlich derart beschuldigt und angefahren zu werden: Als Unterdrücker und Terrorist. Seine Schuld war allein, mich zu kennen.

Ich erinnerte mich an einige Freunde, die sich fürchterlich ärgern, wenn sie mit mir unterwegs sind. Manchmal werden sie auch nervös. Meistens fühlen sie sich verantwortlich. “Warum wirst du eigentlich ständig angestarrt? Wie kannst du so ruhig bleiben?”

Außer Ärgernis und Nervosität erfahren einige auch Überforderung und Angst. Wie sollte man(n) mit bestimmten Situationen richtig umgehen, wie reagieren? Hat man überhaupt den Mut, im richtigen Moment die Stimme zu erheben? Der Freundin oder der Frau beizustehen, sie zu (be-)schützen? Viel zu gern würden sie diese negativen Erfahrungen komplett von ihnen fern halten. Aber sie können es nicht.

Oft höre ich darum von Männern: “Du bist so stark!” Ich weiß gar nicht mehr, wie oft. Ich weiß aber, dass er mich noch immer jedes mal wundert, irritiert und vielleicht sogar ein wenig ärgert. “Ich bin doch nicht stark”, möchte erwidern. Doch mir wird klar: Ich hatte mich an die Blicke gewöhnt, an die Unterstellungen. Ich hatte gelernt mit ihnen umzugehen, hatte mir Antworten und Umgangsformen zurechtgelegt. Von klein auf hatte ich trainieren müssen. Natürlich wirkte ich stark, wenn ich Menschen mit Vorurteilen mit freundlichem, aber bestimmten Blick begegnete und gelernt hatte, ihnen nach zwei Minuten Unterhaltung ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Ich hatte ja jahrelange Erfahrung, ein solides Training. Jede von uns hat das gelernt. Sie musste es tun, um zu überleben, um nicht zu zerbrechen. Bei ihm war das nicht immer so. Er konnte sich diesen Situationen eher entziehen…

Während wir also – wie im Café – als die unterdrückten Frauen wahrgenommen werden, sind wir eigentlich die unheimlich starken Frauen, denen niemand das Wasser reichen kann. Im Grunde gibt es doch nichts mutigeres und stärkeres, als sich, trotz tätlicher Angriffe und Beschuldigungen, mit Kopftuch auf die Straße zu wagen. Meine Freunde hatten Recht: Ja, wir sind stark. Wir sollten es nur nicht allein sein.

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(Doch was in uns vorgeht, wissen nur wir allein…)

5 Kommentare zu “„Du bist so stark!“

  1. Saxhida
    24. Februar 2015

    Da hatten wir zur selben Zeit den selben Gedanken zu Papier gebracht. 🙂
    Aber dein Text ist viel schöner und regt mehr zum nachdenken an.

    Gefällt 2 Personen

  2. Nachdenkliche
    25. Februar 2015

    Echt strange, es gibt schon komische Leute … Lass dir von solchen Irren nicht das Leben versauen, sie sind es nicht wert. Es ist die Frau, die ganz offensichtlich ein Problem hatte, nicht du und dein Begleiter.

    Gefällt 1 Person

  3. thechickonspeed
    26. Februar 2015

    Ja, es ist schlimm, so beleidigt zu werden! Mit Kippa hingegen wird man eher gleich verprügelt.

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  4. ayhanakcin
    15. März 2015

    Vermutlich werden muslimische Bart träger ähnlich behandelt. Damit ich es in der überwiegent säkularen Gesellschaft ähnlich schwer habe wie eine Hijapy Frau, sollte ich mir einen Bart wachsen lassen. Der Bart ist aber leider nicht vergleichbar mit den Haaren einer Frau. Deshalb sollten sich Muslimische Männer einen Satz zu Herzen nehmen:
    Ich kämpfe für dich, lasse dich sein wie du es willst, nicht so, wie ich es für Richtig halte!

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  5. Limon
    16. März 2015

    Man lebt, man arbeitet, man lernt, man hat Hobbys… Wenn man eine Familie hat und Kinder bekommt, dann ist das Leben plötzlich x mal so schnell, x mal mehr lernt man Menschen kennen, x mal mehr Aufgaben muss man lösen, x mal mehr wird man herausgefordert… Das Leben wird vielfach vielfältig und mehr.

    An allen diesen Lebensabschnitten und Aufgaben wird Ihr Kopftuch auch ein zentraler Punkt sein. Das Resultat ist am Ende Sie und Ihre Entscheidung. Und wenn man nun mal sich für ein Kopftuch sich entscheidet, wird man nicht automatisch unsichtbar…

    Am Ende bauen Sie allein das Fundament Ihres Lebens mit Ihrem Kopftuch. Und zwangsläufig geht es ja um Ihr Leben und es sind nur Sie, die stark sein muss.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 23. Februar 2015 von in Allgemein und getaggt mit , , .