betül ulusoy

„Sind die Flüchtlinge ihre Landsleute?“

Acht Flüchtlinge haben sich vor der Notunterkunft versammelt und wissen nicht so recht, wohin. Im Heim ist kein Platz mehr – Das ist mit 1000 Flüchtlingen voll ausgelastet.

Ich biete an, die Flüchtlinge in ein anderes Heim zu fahren. Schließlich ist es bereits nach 21 Uhr und wenn jetzt keine Lösung gefunden wird, müssen sie auf dem Parkplatz übernachten.

„Sind das ihre Landsleute?“, fragt die Frau eines Verantwortlichen vor Ort, die darauf wartet, dass ihr Mann endlich Feierabend macht, als sie unser Engagement für die Flüchtlinge beobachtet. „Nö“, antworte ich knapp. Man kann sich denken, warum. Die Frau ist noch unbefriedigt. Man kann sich denken, warum. Eine Helferin vom DRK antwortet jetzt für mich: „Die Männer sind aus dem Irak. Die Helferinnen hier sind Deutsche!“, sagt sie energisch. „Ja, ja, klar, aber die Eltern, die Großväter“, stammelt die Frau. Manche Menschen können es nicht lassen und ich will sie nicht weiter quälen. „Die Flüchtlinge kommen aus dem Irak, ich aus der Türkei“, sage ich. „Ah“, sagt sie und hat noch immer ein Fragezeichen im Gesicht. Für sie macht es keinen Sinn, warum wir unbedingt Leuten helfen wollen, die nicht unsere „Landsleute“ sind.

Manche Menschen haben leider wohl nicht ganz verstanden, dass wir alle Menschen sind. Und Menschen sollten anderen Menschen in Not helfen, egal welchen Pass diese haben. Mein Mitgefühl wird nicht nur dann geweckt, wenn Menschen leiden, die ein Land oder eine Religion mit mir teilen. Eigentlich eine Binsenweisheiten.

Ich habe das Bild der deutschen Familie vor Augen – Mama, Papa, Tochter, vielleicht fünf Jahre alt – die ich letzte Woche dabei beobachtet hatte, wie sie Spenden zum Haus der Weisheit brachten. Das Haus der Weisheit ist eine Moscheegemeinde in Berlin-Moabit, die in ihrer Moschee eine Notunterkunft für 80 Flüchtlinge eingerichtet hatte. Mir war aufgefallen, dass die Mutter vorher einen Teil der Spenden kurz vor der Tür ihrer Tochter in die Hand gedrückt hatte, damit sie diejenige war, die sie übergab. Ich hatte es so schön gefunden, dass sie Wert darauf lag, dass ihre Tochter früh lernte und übte, zu geben, zu helfen. Ob diese Familie wohl auch Landsleute der Flüchtinge waren? Oder all die anderen, unheimlich vielen Nicht-Muslime, die die Moschee in diesen Tagen immer wieder aufsuchten, Spenden brachten, fragten, wie es den Verantwortlichen ging und wo sie mit anpacken durften.

Ich habe in der letzten Zeit so unterschiedliche Menschen kennen gelernt, die helfen. Araber, Türken, Deutsche, Asiaten, Muslime, Christen, Juden, Atheisten. Von einem deutschen Anwalt habe ich gestern so viele Spenden bekommen, dass ich zwei Autos damit befüllen musste, darunter ganz neue Kleidung für Säuglinge, Babywagen, Roller. Letzte Woche hatte er uns noch Geld gespendet, nächste Woche wolle er mit seinen Kollegen zusammenlegen und selbst einkaufen und zum Flüchtlingsheim fahren. Eine deutsch-muslimische Facebook-Bekanntschaft hat letzte Woche kurzerhand das warme Essen für die Flüchtlinge gespendet – immerhin mehrere hundert Euro – hat sich dabei zehn Mal bei uns dafür bedankt, dass er helfen durfte (verrückt) und fuhr dann zu seiner Nachtschicht! Als wir Spenden von einer Niqab-Trägerin abholten, übergab diese uns erst einmal zwei in Folie gewickelte Scheiben Wassermelonen: „Das ist für euch. Ihr vergesst sicher bei eurem Stress, etwas zu euch zu nehmen“. Dann beluden wir ihre Spenden. Man sah ihr an, dass sie selbst nicht viel hatte. Sie hatte dennoch gebracht, was sie hatte. „Krass“, meinte meine Freundin, als wir uns verabschiedet hatten, „das war das erste mal, dass ich mit einer Niqab-Trägerin gesprochen habe“.

All diese so unterschiedlichen Menschen helfen nicht, weil die Flüchtlinge ihre „Landsleute“ sind. Sie helfen – ganz einfach – weil sie große Herzen haben.

Im Islam darf man seinen Familienangehörigen keine Almosen geben – Für sie ist man ohnehin verantwortlich. Bei der Flüchtlingshilfe ist es genau so. Es ist keine Flüchtlingshilfe, wenn man sich nur dann angesprochen fühlt, wenn es um Menschen im eigenen Land geht. Hilfe ist, wenn man anderen hilft.
Glücklicherweise gibt es so viele Menschen da draußen, für die das selbstverständlich ist. Viel mehr, als ich für möglich gehalten hatte.

Danke, all ihr lieben Menschen mit dem ganz großen Herzen.

6 Kommentare zu “„Sind die Flüchtlinge ihre Landsleute?“

  1. Eckhardt Kiwitt
    16. August 2015

    Dass Flüchtlinge zuallererst unsere / meine Mitmenschen sind, steht für mich außer Frage. Und sie sind vor Krieg und Zerstörung, Verfolgung, Unterdrückung, drohender Versklavung oder Vergewaltigung, Armut, … geflohen.

    By the way:
    Wie schaut es mit der Mitmenschlichkeit dort aus, wo islamische Gesetze gelten, in Ländern, in denen Islam Staatsreligion ist — und zwar ungeachtet der Religionszugehörigkeit oder der Herkunft der Flüchtlinge ?

    Eckhardt Kiwitt, Freising

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    • bikesboardsandphotos
      17. August 2015

      Herr Kiwitt, Ihren letzten Satz verstehe ich nicht ganz. Natürlich gibt es viele Länder, in denen es um die Menschenrechte sehr viel schlechter steht als bei uns. Aber sollen wir nun unsere Standrads dem tiefst möglichen Beispiel anpassen? Oder sollten wir nicht lieber für unsere freiheitlich-demokratisch-humaistischen Ideale einstehen und alles tun, um notleidenden Menschen zu helfen? Geht es nicht darum, dies zu tun ohn Ansehen der Person, und ohne zu fragen, was der andere im Gegenzug tun kann und will?

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      • Eckhardt Kiwitt
        17. August 2015

        Menschen zu helfen, die sich in einer Notlage befinden, und insbesondere Flüchtlingen zu helfen, halte ich für selbstverständlich. Unsere Standards sollen wir keineswegs nach unten anpassen.

        Es sollte aber nicht so getan werden, als seien die Angehörigen einer Religion barmherziger oder gütiger als andere Menschen.
        Deshalb meine Empfehlung, sich die Gegebenheiten dort anzuschauen, wo islamische Gesetze gelten bzw. Länder, in denen Islam Staatsreligion ist.

        Eckhardt Kiwitt, Freising

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  2. lindenjoerg
    16. August 2015

    Hat dies auf sprachkurslinden rebloggt.

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  3. gabi m. auth
    18. August 2015

    wunderbar

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  4. omouton
    29. Februar 2016

    leute, sie lassen doch jeden zu jederzeit wissen an was sie glauben und verlangen dann auch noch applaus und staatliches einknicken bei all ihren vorhaben

    immer dieses künstlische empört sein wenn dann jemand einen moslem sieht wenn einer vor einem steht, der doch auch nichts anderes seien will, mann, mann der schürle du!

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 15. August 2015 von in Allgemein und getaggt mit , , .