betül ulusoy

Sarrazin kann noch was von uns lernen

Ich sitze im Wartebereich einer Behörde zwischen einem Diplomaten und seinem Dolmetscher. Er ist männlich, arabisch. Ich soll ihm gleich bei seinem Termin juristisch beistehen. Als ich gerade dabei bin, den Fall gedanklich noch einmal durzugehen, schießt mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf: Was er wohl davon hält, dass ich – als Frau – gleich für ihn sprechen werde? In der nächsten Sekunde dreht mir dieser Gedanke bereits den Magen um. Ich bin wütend auf mich. Aber die Frage ist schon gedacht und schwebt nun wie eine dunkle Wolke über mir.

Mir fällt das Gespräch ein, das ich nur einen Abend zuvor mit einem Freund führte. Wir redeten über unseren Zugang zu Religion und über Glaubenszweifel. Ich erzählte, dass ich als Teenager lange Zeit in keine Moschee ging und kaum muslimische Freunde hatte, schon gar nicht welche, die in eine Gemeinde integriert waren. Mein Bild über Muslime speiste sich folglich damals – zumindest unterbewusst – von den Bildern, die mein nicht-muslimisches Umfeld über Muslime hatte oder aber von der medialen Wahrnehmung. Darum hatte ich beispielsweise Bedenken davor, einfach in irgendeine Hinterhof-Moschee zu gehen, sei es auch nur zum Gebet. Was, wenn sie radikal war oder beobachtet wurde? Ich hatte Bedenken gegenüber Frauen mit Kopftuch, die bestimmt „nur“ Hausfrauen waren und darüber hinaus keine Ambitionen hatten – und das, obwohl ich selbst Kopftuch trug und meinen Glauben lebte. Gefährliche Moscheen, dumme Muslime – Von meinem Muslimbild (nicht: Islambild!) hätte sich Sarrazin noch was abgucken können. Pubertät eben. „Das ist sehr paradox“, kommentierte mein Freund und sah mich mitleidig an.

Als junge Studentin hatte mich später dieses Dilemma sehr beschäftigt. Besonders für junge Menschen und ihre Entwicklung ist es ungesund, ein so negatives Fremd-Bild über eine Bevölkerungsgruppe, der man eigentlich selbst auch angehört, als die eigene zu akzeptieren. Vor allem dann, wenn diese Fremdzuschreibung nicht nur zur Eigenwahrnehmung wird, sondern auch zum Maßstab des eigenen Handelns. Nicht selten habe ich bei meiner Arbeit mit Neuköllner Jugendlichen erlebt, dass sie sich absolut prollig verhielten, weil man es eben so von ihnen erwartete. Nahm ich sie aber beiseite und machte ihnen klar, dass ich ihnen mehr zutraute, entpuppten sie sich in den meisten Fällen als wahnsinnig intelligente und äußerst höfliche Jungen. Man musste ihnen nur eine Chance geben, statt ihnen vorbelastet entgegenzutreten. Wohl deshalb habe ich als Studentin, zur Verarbeitung meiner eigenen Teenagerzeit und Unterstützung anderer junger Menschen, so viel Energie in mein Schulprojekt „Unser muslimisches Erbe“ gesteckt.

Es bleibt aber eben schwierig, sich selbst als Muslim den Vorurteilen über Muslime gänzlich zu entziehen. Schließlich kenne ich Muslime, die aus einem Stadtteil nur deshalb wegziehen, weil sich dort immer mehr Muslime ansiedeln, muslimische Arbeitgeber selbst ungern Muslime einstellen wollen, muslimische Eltern, die ihre Kinder auf Schulen schicken wollen, in denen es nicht viele andere muslimische Schüler gibt, muslimische Männer, die bei Straßenumfragen in die Kamera sagen, sie hätten lieber keine Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft – wegen den Immobilienpreisen und wegen dem Dreck auf den Straßen. Einige diese Bemühungen können hehre Ziele verfolgen, soziale, wirtschaftliche, bildungstechnische. Nicht selten ist es aber auch einfach ein Komplex besorgter muslimischer Bürger.

Manchmal erschreckt es mich, wie wir über uns selbst denken. Das ist nicht nur paradox, sondern geradezu schizophren. Denn wir sind eigentlich die, die am besten wissen, dass all dies eben Vorurteile sind, Fremdbilder, die wir übernehmen, die sie aber nicht richtiger machen.

Noch nie bin ich in meinem Leben einem arabischen Mann begegnet, der unhöflich zu mir gewesen wäre. Deutschen und türkischen Männern schon, nie jedoch arabischen. Ganz im Gegenteil: Ich hatte stets sehr freundliche, höfliche und respektvolle Begegnungen. In diese Tradition reihte sich heute auch der Diplomat ein: Bescheiden und höflich folgte er mir durch die Gänge, lies mich sprechen, hörte aufmerksam zu, unterbrach mich kein einziges Mal. Dennoch habe ich so oft über muslimisch-arabische Männer ohne Respekt vor Frauen gelesen, dass ich unweigerlich diesen Gedanken hatte, der mich so sehr beschämte. Der diesem Mann so Unrecht tat. Ein Mal mehr bleibt so die Erkenntnis, dass ich auch dann Achtsam gegenüber Vorurteilen und Fremdzuschreibungen sein muss, wenn ich allein mit mir gelassen werde und wenn sie sich gegen „Meinesgleichen“ oder gar mich selbst richten.

Ein Kommentar zu “Sarrazin kann noch was von uns lernen

  1. mikesch
    20. Januar 2016

    Noch nie bin ich in meinem Leben einem arabischen Mann begegnet, der unhöflich zu mir gewesen wäre. Deutschen und türkischen Männern schon, nie jedoch arabischen. Ganz im Gegenteil: Ich hatte stets sehr freundliche, höfliche und respektvolle Begegnungen.
    hahahahahahahahahah, komm mal 31-12-16 köln hbf ich stelle dir paar vor.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 7. Dezember 2015 von in Allgemein und getaggt mit , , , , , , , , .