betül ulusoy

Ich trage, was ich will

Ich bin unbeschwert und glücklich am Tag meiner Trauung, als zudem ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung geht: Ich sage „Ja“ im Brautkleid meiner Mama, ein wunderschönes Kleid aus den 80ern, das für mich mit viel Emotionen verbunden ist. Mama hat damals zu ihrer Hochzeit auch einen Turban dazu getragen, den auch ich übernehme. Ein wenig meiner Freude teile ich auf Instagram und erhalte viele Glückwünsche, die mich noch mehr freuen. Aber dann mischen sich unter die Kommentare auch Moralwächter, die mir allen möglichen Unsinn vorwerfen: „Schon komisch oder? Erst für das Kopftuch einstehen, dann doch einen Turban tragen!“, schreibt einer, „Es ist haram seinen Hals zu zeigen!“, ein anderer und eine Dritte fordert: „Du musst alle Fotos löschen, auf denen du einen Turban trägst!“. Ich habe das Gefühl, ich bin im falschen Film. Beschließe dann, die paar Dumpfbacken zu ignorieren. Ärgere mich später über meinen Entschluss.

„Muslimische Frauen erfahren Druck von ihrer Community, sich zu bedecken“, wird mir immer wieder auf Podien und nach Vorträgen entgegengehalten. Ich sage dann oft, dass diese Annahme unsinnig ist, weil ich so viele Frauen kenne, die – ganz im Gegenteil – für das Tragenkönnen ihres Kopftuchs einen langen Kampf in ihren Familien ausfechten mussten, aber auch Frauen, die ihr Kopftuch nach Jahren abnahmen, ohne dass das in ihrem Umfeld ein Problem dargestellt hätte. Nur: das eine schließt das andere leider nicht aus. Es gibt die Menschen, die Frauen vorschreiben wollen, dass sie kein Kopftuch tragen dürfen – und ich kämpfe seit Jahren gegen sie an. Aber es gibt – das muss ich eingestehen – leider auch diese Menschen, die Frauen vorschreiben wollen, dass sie ein Kopftuch tragen müssen – und es ist falsch, sie ignorieren zu wollen. Denn je mehr und je länger man das tut, desto mehr und desto länger wähnen sie sich im Recht, erstarken und wollen eindringlicher Frauen vorschreiben, wie sie sich zu kleiden haben. Und: Wer extreme Meinungen vertritt, tritt häufig besonders penetrant und besonders laut zu Tage. Das ist gefährlich. Erst vor ein paar Tagen habe ich darum auf dem Kirchentag erzählt, dass man Hate Speech im Netz von rechts nicht stehen lassen darf – vor allem um der Mitleser und Betroffener Willen. Das muss allemal auch für muslimische, selbsternannte Moralwächter gelten.

Kleidung sagt nichts über Religiosität, Glauben oder Spiritualität aus. Wir alle haben die muslimische Freundin – ohne Kopftuch, die niemals ein Gebet verpasst, die Freundin mit Turban, die uns alle mit ihrer Kreativität aufs Neue begeistert, die Freundin mit Tuch und Haaransatz, die uns mit ihrem großen, gütigen Herzen immer ein Quell der Inspiration ist, die Freundin mit Kopftuch, die uns mit ihrer Stärke und Lebensweisheit immer beiseite steht. Egal was sie auf dem Kopf tragen, oder auch nicht: Sie sind Schwestern im Glauben. Sie stehen allesamt Gott nah. Wir muslimische Frauen sind kraftvoll, mutig und stark, nicht weil unsere Tücher eng gewebt sind, sondern weil wir eng beieinander stehen, vielfältig sind und uns so gegenseitig bereichern. Diese Vielfalt müssen wir verteidigen, egal aus welchen Reihen sie angegriffen wird.

Zwei der größten Probleme muslimischer Gesellschaften sehe ich darin, dass wir 1. immer mehr auf Äußerlichkeiten achten, als auf Herzen und 2. uns mehr mit Anderen beschäftigen, als mit uns selbst. Wir sind verloren, wenn das so bleibt. Ich hoffe inständig, dass wir den Ramadan zum Anlass nehmen, an beidem zu arbeiten.

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„Sprich: Jeder handelt nach seiner Weise – und dein Herr weiß am besten, wer eher rechtgeleitet ist.“ (Qur’an, 17:84)

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„Dir obliegt in keiner Weise, sie zur Rechenschaft zu ziehen, und ihnen obliegt in keiner Weise, dich zur Rechenschaft zu ziehen.“ (Qur’an, 6:52)

7 Kommentare zu “Ich trage, was ich will

  1. eR Dee
    30. Mai 2017

    Salam Betül,

    herzlichen Glückwunsch zu Deiner Vermählung!
    Möge dieser Schritt Dir für Jahre Glück und Segen bringen!

    Ich möchte Dir einen Rat für die dummen und unschicklichen Kommentare-Schreiber geben. Schreibe einfach:

    „… es ist haram dumm daher zu reden und auch noch schreiben“!

    Sei gewiss: „Diese Kommentatoren stehen sich selbst im Weg“!

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  2. nuh
    30. Mai 2017

    Du hast Recht mit dem was du schreibst. Ich finde jede Frau sollte selbst entscheiden. Und jeder von uns sollte die Entscheidung des anderen respektieren. Das Urteil ist alleine bei Allah

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  3. Hly
    30. Mai 2017

    S.a. Liebe Betül,

    Trotzdem ist das alles nicht so einfach wie du es sagst. Das was man auf dem „kopf trägt“ ist nicht etwas sondern eine „ayat“ …“der Befehl Gottes „.
    Natürlich bist du frei in deiner Entscheidung, ob du Kopftuch trägst oder nicht. Das hat keinen zu interessieren, aber “ Kleidung hat nichts mit Religiösität zutun “ zu sagen finde ich ebenso falsch. Das sind Vorschriften Gottes, die man entweder annimmt oder nicht.

    Ansonsten wünsche ich dir noch einen gesegneten Ramadan

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  4. FrauKunst
    25. Juni 2017

    Danke für deinen Text. Da ich Flüchtlingsklassen unterrichte, informiere ich mich endlich mehr über den Ramadan (allgemein über den Islam) und habe in diesem Jahr zwei Tage – dann habe ich kapituliert – gefastet. Mich würde deine Meinung zu meinem Text interessieren. Bin ich zu kritisch? https://frauk.blog/2017/06/22/erfahrungsbericht-ramadan/

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  5. deingruenerdaumen
    29. Juli 2017

    Der Herr sprach zu Samuel:“ Lass dich nicht davon beeindrucken, dass er groß und stattlich ist. Er ist nicht der Erwählte. Ich urteile anders als die Menschen. Ein Mensch sieht, was in die Augen fällt; ich aber sehe ins Herz“. Sam 16,7 Viel Mut wünsche ich Ihnen! Stehen Sie zu sich selbst!

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  6. blumka
    10. Juli 2018

    Gefällt mir, was du schreibst. Schade, dass du aufgehört hast. Einer Stimme wie deiner gehört die Zukunft, wirst du sehen.

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Information

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 29. Mai 2017 von in Allgemein.