Während das Netz über gefundene Ausweisdokumente des Täters im LKW streitet, überlege ich, was der Anschlag, unabhängig von seinen Hintergründen, mit unserer Gesellschaft gemacht hat. Gestern Abend war ich in meiner Heimatstadt unterwegs. Am Ort des Geschehens. Jeder stand natürlich unter dem Eindruck des Erlebten und wie im Netz wurde auch auf der Straße diskutiert. Ich erinnere mich an die junge Frau, die hinter mir lief. „Ich lasse mich doch nicht von Terroristen einschüchtern und mein Leben bestimmen!“, sagte sie bestimmt zu ihrem Begleiter. Ich musste darüber nachdenken, ob ich eigentlich Angst hatte und auch, ob sie sich mit ihren Worten vielleicht selbst Mut zusprach oder es auch tatsächlich so empfand, wie sie es aussprach. Später wartete ich an einer Ampel, neben mir zwei Männer. „Wenn diese Schlampe jetzt wiedergewählt wird, dann können wir aber was erleben!“, meinte der eine zum anderen und schimpfte. Jetzt, angesichts dieses Hasses, hatte ich Angst und war froh, nicht allein hier zu stehen.
Ein paar Minuten zuvor stand ich noch vor der Gedächtniskirche, dort, wo keine 24 Stunden vorher der LKW in die Menge gefahren war. Um mich herum hunderte meiner Berliner Mitbürger. Ich wollte keinem der Trauernden nahe treten, also sah ich kaum hoch, aber immer dann, wenn ich in ein Gesicht blickte, sah ich Tränen. Dann läuteten die Glocken der Gedächtniskirche für die Toten. Es hallte laut und eindringlich über unseren Köpfen, bis in mein Mark. Gänsehaut. Trauer. Manchmal wenn ich mich umblickte, hatte ich das Gefühl, ich könnte auch vor einer Moschee stehen, so viele Muslime standen um mich herum. Viele muslimische Gemeinden, Organisationen und Einzelpersonen hatten dazu aufgerufen, an diesem Abend zu einer Andacht hierher zu kommen. Viele waren dem gefolgt, nicht der Aufrufe wegen, sondern wegen des inneren Drangs, hier gemeinsam zu trauern, im Zusammenstehen Trost zu finden. Einige von ihnen sind auch einen Abend zuvor schon hier gewesen, nur Minuten vor dem Anschlag. Der Schock sitzt noch immer tief.
Kaum habe ich meinen Platz im Gedenkgottesdienst eingenommen, betreten auch schon Bundespräsident Gauck und Bundeskanzlerin Merkel die Kirche, gefolgt von der halben Bundesregierung und Politprominenz. „Auch wenn es in diesen Stunden schwer fällt: Wir werden die Kraft finden für das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen: frei, miteinander und offen.“, hatte die Bundeskanzlerin am Mittag gesagt und ein Mal mehr war ich dankbar, diese Frau meine Kanzlerin nennen zu dürfen. Auch im Gottesdienst war der Grundtenor klar: wir trauern um die vergangene Nacht. Auch jetzt ist es dunkel in Berlin. Aber wir wollen einander Sterne in diesem Dunkel sein. Wieder bin ich dankbar, diesmal den Geistlichen für ihre besonnen Worte, für den Trost, den sie mit ihren Worten spenden, für ihren Glauben an das Zusammenhalten und Zusammenleben über religiöse und kulturelle Unterschiede hinweg. „Brüder und Schwestern“ nennen sie alle Anwesenden und anwesend ist das gesamte interreligiöse Berlin. Erneut fällt mir auf, wie viele Muslime sich im christlichen Gottesdienst mit ihren Mitbürgern vereinen. Als wir uns erheben und zur verkürzten Gedenkminute die Hände reichen, hat das für mich Symboltracht: hier steht Berlin, mit all seinen Facetten und seiner Regierung, Hand in Hand, bereit um geschlossen und entschlossen für seine Offenheit, seine Freiheit und sein Miteinander einzustehen. Ich schließe die Augen, verinnerliche die Atmosphäre. Als mein Sitznachbar meine Hand wieder frei gibt, dreht er sich mit Tränen in seinen großen, hellblauen Augen zu mir um und flüstert: „Danke“. Ich werde verlegen.
Nach dem Gottesdienst möchte meine Begleitung Sanitärräume aufsuchen. Wir gehen in ein Kaufhaus, ich warte vor dem Waschraum und höre, wie sich dort eine Frau lautstark mit der Putzkraft unterhält: „Wissen Sie, die ganze Welt lacht über uns Deutsche! Wir lassen uns von diesen Muslimen auf der Nase tanzen!“, sagt sie, ich schlucke. Die Putzkraft bestätigt die Frau. Eine weitere anwesende Frau schweigt. Als sie sich genug aufgeregt hat, geht sie raus. Jetzt erst meldet sich die zurück gebliebene Frau zu Wort. „Also, noch ist keine Erkenntnis gesichert, vielleicht war ja alles tatsächlich ein tragischer Unfall“, sagt sie und beschwerst sich, über die Wortwahl, Wut und Ärgernis der Frau vorhin, als sie ihr rotoranges Haar über die Schulter streift. Auch die Putzkraft ist jetzt empört. Ich kann kaum glauben, was ich erlebe. Warum schwiegen sie vorhin, wenn sie so denken? Wieder macht sich Angst in mir breit. Wenn Menschen, vor allem Mehrheiten zu Dingen schweigen, die sie falsch finden, ist das gefährlich. Das lehrt uns unsere deutsche Geschichte. Es macht sich Angst in mir breit, denn so sehr ich versuche, daran zu glauben, dass Berlin geschlossen für Frieden und Offenheit steht, auf den Straßen ist die Stimmung nicht so eindeutig, gibt es Lager, gibt es Spaltung, gibt es Wut und Hass, das muss ich mir eingestehen. Auch das hat der Anschlag eben mit uns gemacht. Darum muss der Mut, von dem im Gottesdienst die Rede war, eben hier in den Waschräumen ansetzen. Wir müssen schneller und früher Hass und Pauschalisierungen begegnen, überall, wo wir ihm Begegnen, in der Moschee, in der Kirche, im Kaufhaus. Wir sind jetzt gefordert, die Stillen. Wieder schließe ich die Augen und denke mich in den Gottesdienst zurück. Wir müssen uns die Hände reichen, Allianzen schließen, füreinander und unsere verfassungsrechtlichen Werte einstehen, damit der Terror nicht gewinnt, damit die Terroristen nicht siegen. Bischof Dröge hatte gerade noch auf das Nagelkreuz von Coventry in der Gedächtniskirche hingewiesen, jener Stadt, die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen zerstört wurde. Heute ist das Kreuz Zeichen der Versöhnung und Liebe in einer Kirche, die selbst Mahnmal von Krieg und Terror ist, sagte Bischof Dröge und: „Wir werden unbeirrt bezeugen, dass die Kraft der Versöhnung stärker ist“. Daran möchte ich glauben. Ganz fest. Vor allem: dafür werde ich arbeiten.
Liebe Betül Ulusoy, liebe Muslime,
mein Erlebnis mit Muslimen.
ich bin christlich erzogen, gehöre aber keiner Religion mehr an. Meine „Religion“ ist ganz einfach: „Bist Du gut zu mir – bin ich gut zu Dir!“ Ich frage nicht lange, sondern helfe.
Vor einigen Jahren lebte ich in Marrakech. Eine meiner schönsten Zeiten! Dort habe ich zum ersten Mal so richtig unter und mit Muslimen gelebt. Leider wurde ich durch einen Unfall gezwungen das Land zu verlassen. Da es keine Möglichkeit gab mich erfolgreich zu behandeln. Doch lag ich 4 Tage dort in einem Krankenhaus, in dem alle kranken Muslime von der Umgebung eingeliefert wurden.
Ich lag mit kompliziert gebrochenem Bein dort. In dem Zimmer lagen noch 5 andere Patienten. Einer auf meiner linken Seite hatte 2 gebrochene Arme und konnte dadurch weder essen noch trinken. Da sein Bett in meiner Reichweite war, habe ich ihm geholfen. Ich war schon einen Tag dort, bevor er eingeliefert wurde. An dem Tag gab es Joghurt für ihn. Er schaute ganz hilflos auf seine Arme und dann auf den Becher Joghurt. Keine Chance ihn zu halte oder gar zu öffnen! Ich gab ihm durch Handzeichen zu verstehen daß ich ihm helfen wolle. Er schaute mich dabei so erstaunt an dass es mir und anderen auffallen mußte. Ich achtete nicht weiter darauf, sondern öffnete den Joghurtbecher und fütterte ihn halt wie ein Kind.
Sein Blick war nur staunend und dankbar! Hätte er wohl nicht erwartet.
Am Nachmittag kam seine Verwandtschaft. 22 Personen. Wobei nur seine Frau und seine Mutter un alle Männer der Gruppe um sein Bett standen und saßen. Auch auf meinem Bett. Wobei ich aber von seiner Frau vorher fragend angeschaut wurde. War nichts einzuwenden von meiner Seite.
Ich bemerkte wie er von dem Joghurt und mir sprach. Die Leute schauten mich „unauffällig“ an. Mittlerweile kam mein Freund und seine Frau und brachten mir extra zu essen und trinken. Dabei fragte mein Freund ob ich mich waschen wolle. Was ich natürlich bejahte. Denn ich lag seit dem vergangenem Tag ohne waschen. Er holte eine große Schüssel Wasser an mein Bett und ich begann mit dem waschen. Aus den Augenwinkeln sah ich wie immer mehr Leute mich aufmerksam und offener auch staunend beobachteten. Warum???
Im Nachhinein wurde mir das klar. Hatte ich doch – ohne es zu wissen – mich wohl auf die gleiche Art gewaschen wie Muslime es vor dem Betreten der Moschee machen.
Nachdem ich fertig war kam von der Gruppe meines Bettnachbarn einer der Männer rüber und sprach mit meinem Freund. Es mußte ein höher gestellter Mann gewesen sein. BZW. war der Wortführer der Gruppe. Er und alle Anderen schauten mich unverhohlen und staunend an. Mein Freund übersetzte mir was er mit dem Fremden auf Arabisch sprach.
Der Mann bat mir auszurichten, dass wenn ich wieder gesund wäre er mit mir und der Familie zu einem Gottesdienst in die Moschee gehen um gemeinsam zu beten .
Das war für mich der schönste und auch heute noch der bewegenste Augenblick!
Leider wurde daraus nichts.
Meine Genesung war erst nach 6 Operationen, was leider sehr lange dauerte, wieder hergestellt. Dazu hatten sich meine familiären Verhältnisse so geändert, dass ich keine Möglichkeit hatte wieder nach Marrakech zurück zu gehen. Durch eine andere Krankheit bin ich auf teure Medikation angewiesen. Um dies so weit wie möglich zu erleichtern habe ich mich in den asiatischen Raum begeben, wo ich noch heute gesünder lebe. Durch die relativ gleich hohe Temperatur brauche ich nur ein Zehntel der Medizin wie in Europa.
Auch heute leben in meinem Umfeld Muslime. Ohne Probleme! Ich würde nie auf die Idee kommen und sagen:
„Muslime sind andere Menschen – Sie sind wie Du und ich GLEICH“.
وداعا، إن شاء الله، في حياة أفضل!
eR Dee.
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