betül ulusoy

Allahu akbar

Gestern. Ich schlendere durch ein Einkaufszentrum, wie immer etwas verträumt, als es plötzlich aus meiner Tasche tönt: „Allahu akbar, Allahu akbar!“ und das Nachmittagsgebet ankündigt. Ich erinnere mich nicht, ob und wann ich zuvor jemals so große Angst hatte, auch physische Angst, aber das war ein Moment riesiger Angst. Ich suche also zitternd und eilig nach meinem dämlichen Handy in meiner dämlichen Tasche, wohlwissend, dass es gleich wieder „Allahu akbar“ rufen wird, lauter, intensiver. Ich schaffe es, mein Handy vorher zu finden und abzustellen. Aber mein Körper spielt nach wie vor verrückt. Ein Schauer jagt mir den Rücken hinunter, mir wird heiß und kalt zugleich, meine Hände zittern noch immer, ich stehe recht unsicher auf den Beinen und mein Herz hämmert so, als würde es aus meiner Brust herausspringen wollen. Langsam schaue ich mich um. Niemand interessiert sich für mich, niemand hat mich bemerkt. Gott sei Dank. Ich flüchte langsam in einen Drogeriemarkt. Zwischen ruhigen Regalen hole ich tief Luft. Ich hatte gerade eine richtige Panikattacke. Wegen eines Gebetsrufes. Nein, wegen dem, was mit dem Gebetsruf mittlerweile assoziiert wird. Mein Verstand erklärt mir, dass ich auf Grund der angespannten Lage zur Zeit so stark reagiert habe, aber mein Herz hasst mich für diese Überreaktion, hasst diese Lage, hasst diese Assoziationen. Wie konnten wir zulassen, dass es so weit kommt?

Ich erinnere mich an einen Beitrag von Pinar Cetin (unabhängige Kandidatin aus Neukölln – liken!) neulich, die zu dieser Problematik Stellung nimmt.
„Hierzu wird häufig auch angeführt, die Demonstranten hätten „Allahu akbar“ gerufen. Dazu möchte ich generell anmerken: Muslime rufen bei vielen Gelegenheiten „Allahu akbar“, sowohl bei Begeisterung, als auch Trauer. Der Ausruf bedeutet nämlich nichts weiter, als dass Gott sehr groß oder am größten ist. Menschen suchen Zuflucht und Kraft bei Gott oder sie drücken ihre Freude und Dankbarkeit aus [aber auch ihre Trauer]. Darum kann man diesen Ausruf auch auf Hochzeiten und Festen hören [aber auch bei Totengebeten und Bestattungen].“, schreibt sie.

Ich muss ehrlich sagen: Ich kann nicht viel damit anfangen, wenn auf Demonstrationen „Allahu akbar“ gerufen wird. Ich finde, religiöser Sprachgebrauch eignet sich generell nicht als Slogan auf politischen Versammlungen. Darum meide ich solche Züge in der Regel auch. Er sagt aber eben auch nichts über Extremismus oder Radikalität aus, auch wenn Attentäter diesen Begriff ebenso gebrauchen. Es gibt niemanden, der sich über diesen Missbrauch mehr aufregt, als Muslime selbst.
Denn „Allahu akbar“ wird eben auch fünf mal täglich in muslimischen Ländern aus den Lautsprechern der Moscheen und auch in vielen muslimischen Haushalten aus Gebets-Weckern zur Gebetszeit gerufen. „Gott ist größer, bedeutender“, als der Spielfilm, den du gerade siehst, also heb‘ deinen Hintern von der Couch und verrichte dein Gebet, kann das dann schnell mal bedeuten. Er ist tief verwurzelt im alltäglichen Sprachgebrauch vieler Muslime, so ähnlich wie „insAllah“ und „masAllah“ auch von absolut areligiösen Menschen verwendet werden kann. Letztere Begriffe werden mittlerweile sogar auch von Nicht-Muslimen in den deutschen Sprachgebrauch übernommen, vor allem von Jugendlichen, die mit diesen Begriffen aufwachsen. Das Phänomen beobachten Migrations- und Sprachforscher schon länger. Neulich erlebte ich zwei deutsche Teenagerinnen in der Bahn. Als eine von ihnen sagte: „Ey, dein Freund sieht voll hübsch aus, masAllah!“, musste auch ich erstmal ziemlich irritiert gucken.

Ich weiß noch, als diese Gebetsruf-Apps fürs Handy vor Jahren noch der neueste Schrei waren. Damals schrieben Freunde in den Sozialen Medien von neugierigen Blicken und manchmal auch von interessanten Begegnungen, als es „Allahu akbar“ aus ihrer Richtung rief. Heute lösen solche Momente Panikattacken aus.

Ich verstehe, dass es einfacher ist, wenn die Abgrenzung zwischen „Muslim“ und „Islamist“ leicht gemacht wird und die Grenze an solchen Begriffen verläuft. Aber seien wir ehrlich: Wann war die Welt je so einfach gestrickt? „Allahu akbar“ taugt jedenfalls zur Abgrenzung nicht. Dazu wird es zu häufig von zu vielen Menschen zu zu vielen Anlässen genutzt.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 29. Juli 2016 von in Allgemein.