betül ulusoy

Gefangen im Hamsterrad? Weil wir Hoffnung haben.

Beim Ausmisten entdeckt.

Das Bild habe ich vor ziemlich genau 11 Jahren gemalt. Als ich es vor einigen Tagen in die Hände bekam, musste ich lachen: „Mädchen, du bist echt doof. Wie sieht das denn aus?“

Aber dann wurde ich auch unendlich traurig und fühlte mich nicht nur alt, sondern auch erfolglos. Ich habe mich gefühlt, als würde ich mich seit 11 Jahren nur im Kreis drehen. Auf der Stelle bewegen. Gefangen in einem Hamsterrad.

Das Bild ist nach einer Demonstration gegen das sogenannte „Kopftuchverbot“ am 17. Januar 2004 entstanden. „My headscarf is 100 % cotton and 0 % terror“ steht vorne auf dem Banner. „My had is mine – No to the headscarf-ban“ und „That’s no tradition – That’s our religion“ auf den Plakaten. Wie naiv ich doch war, denke ich. Dennoch war es damals wichtig, glaube ich. Natürlich muss ich bei diesen Plakaten auch an MuslimaPride denken. Never. ending. story.

Ich erinnere mich plötzlich wieder mit aller Wucht, wie aufgeregt und verzweifelt wir waren, wie wir versucht haben, das Gesetz zu verhindern, wie ernst und wichtig für uns diese Demonstration war, so, als würden wir dadurch die Macht haben, etwas bewirken zu können.

Ich frage mich, ob meine heutige kritische Haltung gegenüber Demonstrationen auf solche Erfahrungen aus meiner Kindheit zurück zu führen sind… Dass ich trotzt aller Emotion und Aufregung und Willen und Vertrauen nichts durch sie verändern konnte… Das Verbot kam dennoch. Seitdem kämpfen wir darum, es rückgängig zu machen. Freiheit und Gerechtigkeit wieder herzustellen. Und leben mit den Konsequenzen, Hürden und Schwierigkeiten.

11 lange Jahre sind seither vergangen. Damals schon habe ich kindlich und naiv für meine Ideale eingestanden.

11 lange Jahre. Verflogen. Ich schaue in meinen Kalender 2015. Überall sind Vorträge, Konferenzen und Diskussionsrunden eingetragen. Ich soll über das Leben einer Muslimin referieren, über Frauen im Islam und muslimische Frauen in Deutschland, über Diskriminierung, das AGG und das Neutralitätsgesetzt sprechen. Vom Kopftuch erzählen – Und vom Kopftuchverbot.

Ich weiß noch, wie damals Freundinnen darüber nachdachten, Richterinnen und Lehrerinnen zu werden. Wir waren noch Schüler. „Aber wenn dieses Gesetzt durchkommt, kann man den Beruf doch gar nicht mehr ausüben, oder?“, hatten wir diskutiert und waren uns einig: „Aber bis wir unsere Abschlüsse haben, wird man längst eingesehen haben, dass das völliger Quatsch war. Deutschland ist ein freies Land.“ Heute haben wir alle unsere Abschlüsse. Und die Barrikaden, an die niemand geglaubt hatte, existieren noch immer.

Meine Freundin hatte mich einmal gefragt, warum so viele Mädchen mit Kopftuch Lehramt studieren, obwohl sie genau wissen, dass sie ihren Beruf nicht ausüben können. „Weil wir Hoffnung haben“, habe ich erwidert. Sie hat mich mit großen Augen angeschaut – Trauer und Respekt darin.

Eigentlich ist mir dieser lange Kampf und diese lange Zeit gar nicht bewusst gewesen – Bis ich dieses Bild in die Hände bekam. Eigentlich schaue ich jedes Jahr aufs neue in meinen Kalender und denke: Jawohl, wieder so viele Veranstaltungen und Möglichkeiten, etwas zu verändern. Es geht voran. Jedes Jahr mache ich mich mit Elan an die Arbeit und habe die Hoffnung, dass es nicht mehr lange dauern kann.

Ja, wie lange dauert das eigentlich noch? 11 lange Jahre… Wie viele Jahre noch?

// Nachtrag:

Während ich an diesem Eintrag schreibe, erhalte ich eine E-Mail. Bundesministerin Manuela Schwesig lädt anlässlich des Internationalen Frauentags am 5. März 2015 zu einem Empfang ein. Für mich gibt es auch dieses Jahr kaum etwas zu feiern, denke ich und hole etwas erschöpft meinen Kalender, während ich mein Hamsterrad zu meiner Agenda für diesen Tag mache. Schon wieder.

6 Kommentare zu “Gefangen im Hamsterrad? Weil wir Hoffnung haben.

  1. Karen Neumann
    27. Januar 2015

    … eine Möglichkeit ist, zu begreifen, dass Deutschland kein freies Land ist. Das ist schmerzhaft und wird vor allem von „Biodeutschen“ sehr heftig verdrängt. Wozu Verdrängung führt, dürfte bekannt sein …

    liebe Grüsse
    Bitte steig aus dem Hamsterrad raus und bleib fröhlich und zukunftsoptistisch.
    Das Einzige, was immer bleibt, ist die Veränderung …
    Es wird immer alles doch anders als man/frau denkt!

    Karen

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  2. Eckhardt Kiwitt
    27. Januar 2015

    Hängt die Identität so sehr an diesem Stück Stoff, dass ein Persönlichkeitsverlust oder eine Zusammenbruch droht, wenn das Stück Stoff abgelegt werden muss ?
    Warum kann man / frau einen Beruf nicht ohne dieses Stück Stoff ausüben ?
    Was hat die Qualifikation für den Beruf mit dem Kopftuch zu tun ?

    Von pubertierenden Jugendlichen kennt man es, dass sie, die sie noch auf der Suche nach sich selbst sind und sich entsprechend (auch) an Vorbildern orientieren, stark an Äußerlichkeiten wie z.B. Kleidung klammern, sich damit während ihrer Entwicklungsphasen identifizieren.
    Im Erwachsenenalter darf man dies jedoch getrost überwunden haben.

    @ Karen Neumann:
    Du schreibst „… zu begreifen, dass Deutschland kein freies Land ist.“

    Welches Land wäre denn aus Deiner Sicht ein freies Land ?

    Sind z.B. Länder, in denen islamische Gesetze gelten, Länder, in denen Islam Staatsreligion ist, freier, freiheitlicher als Deutschland ?
    Gibt es dort mehr Möglichkeiten der freien Entfaltung der Persönlichkeit, mehr Rechtssicherheit;
    wird die Würde *aller* Menschen dort mehr gewährleistet und geachtet als in Deutschland;
    gibt es dort für *alle* Menschen die uneingeschränkte Freiheit des religiösen und des weltanschaulichen Bekenntnisses;
    welchen Stellenwert hat dort das Recht auf freie Meinungsäußerung, bzw. wie weit ist dieses Recht dort eingeschränkt ?

    Darf man dort Dinge, die dem einen „heilig“ sein mögen, kritisieren ?
    Mit dem Attribut „heilig“ wird schließlich versucht, ein totales / totalitäres Kritikverbot und damit einen totalitären Machtanspruch zu erheben und durchzusetzen.
    Totalitäre Machtansprüche gehören zu den Eigenschaften von Tyrannen, Despoten und von Diktaturen; in pluralistischen Gemeinwesen, die ihre Stabilität aus dem Pluralismus beziehen, aus der Meinungsvielfalt, aus einer Streit- / Diskussionskultur, ist derlei zum Wohle der Allgemeinheit überwunden.

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    • Karen Neumann
      27. Januar 2015

      … das Einzige, dass mir dazu einfällt, wenn jemand mir Bekleidungsvorschriften macht und bei meinerseitiger Ablehnung dieser, mich als Jugendlich tituliert, um mir dann zu erklären, wie Erwachsene sich zu verhalten und damit zu kleiden zu haben, mit so einem kann ich mich einfach nicht über Freiheit unterhalten …

      Da fehlt ja jegliche Grundlage von Reflexionsfähigkeit!

      Unglaublich!

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      • Eckhardt Kiwitt
        27. Januar 2015

        Wer hat denn versucht, Dir Bekleidungsvorschriften zu machen ?
        Wer hat Dich als Jugendlichen tituliert ?
        Wer hat erklärt, wie Erwachsene sich zu verhalten und damit zu kleiden haben ?

        Habe ich evtl. irgendwelche Vorschriften erlassen, ohne mir dessen bewusst zu sein ?
        Wenn ja, welche ?

        Und nochmals meine Frage von oben:
        Welches Land wäre denn aus Deiner Sicht ein freies Land ?

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  3. M. Selçuk
    29. Januar 2015

    Deine Schrift hat mich an meinem Bild von damals erinnert…worauf man sehen konnte, wie das Gehirn versucht hat das Herz einzusperren.

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  4. Pingback: Muslime – Die neuen “Wilden”? | betül ulusoy

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 27. Januar 2015 von in Allgemein und getaggt mit , , , , , , , .
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