Ich höre ein paar mal seinen Namen in unterschiedlichen Kontexten. Von ihm wird gesagt, er sei für sein junges Alter schon sehr weit, sehr intelligent, sehr belesen. Ich freue mich über ein wertvolles Mitglied in der Gemeinde und bin neugierig auf ihn. Einige Wochen später treffe ich ihn. Wie soll ich sagen? Es wäre wohl besser gewesen, ich hätte meine gute Meinung über ihn behalten und ihn nicht getroffen. Er weiß, was er kann. Das ist schön. Er lässt es andere spüren. Das ist unschön. Er ist arrogant und herablässig. Er hat eine so hohe Meinung über sich selbst, dass er die Ansichten und die Gedanken von anderen Menschen nicht einmal wirklich anhört. Er hört am liebsten immer nur sich selbst reden. Es mag sein, dass er intelligent ist. Aber nicht so intelligent, dass er verstanden hat, dass das im Grunde nicht sein eigener Verdienst ist, sondern gottgegeben. Und dass es ihm darum gut stünde, sein Können und sein Wissen demütig einzusetzen. Was Gott gibt, kann Er auch wieder nehmen. Wenn Er gibt, sollte die Gabe auf Seinem Weg eingesetzt werden. Wenn Er ihm Intelligenz gibt, gibt Er Anderen andere Gaben. Jeder Mensch ist darum auf seine eigene Art wertvoll, auch wenn er vielleicht nur die Hälfte der Bücher gelesen hat, die er las. Er vergisst das.
Einmal wollte ein Sprachwissenschaftler den Bosporus überqueren. Er engagierte dazu einen Fährmann, von dem er aber nichts hielt und dementsprechend hochmütig in seinem Boot saß. Nach einigen Minuten fragte er ihn abfällig: „Bist du bewandert in der Sprache? Kennst du dich in der Grammatik aus?“ „Nein“, erwiderte der Fährmann: „Ich bin nur ein einfacher Mann ohne Schulbildung“. „Du armer Mann“, meinte der Wissenschaftler: „Du hast quasi die Hälfte deines Lebens verschwendet!“ Der Fährmann sagte nichts. Er gab sein Bestes das Boot sicher durch einen aufkommenden Sturm zu manövrieren, um seinen Gast sicher ans andere Ende des Ufers zu bringen. Trotz aller Bemühungen gelang ihm das nicht. Irgendwann fragte er den Sprachwissenschaftler erschöpft: „Kannst du schwimmen?“ „Nein!“, rief dieser nunmehr panisch: „Das habe ich nie gelernt!“ „Dann hast du wohl dein ganzes Leben verschwendet“, meinte der Fährmann.
Ich höre ein paar mal seinen Namen in unterschiedlichen Kontexten. Von ihm wird gesagt, er sei für sein junges Alter schon sehr weit, sehr intelligent, sehr belesen. Ich freue mich über ein wertvolles Mitglied in der Gemeinde und bin neugierig auf ihn. Einige Wochen später treffe ich ihn. Wie soll ich sagen? Er ist die Bescheidenheit in Person. Jeden Gedanken jedes anderen Menschen empfindet er als Bereicherung, reflektiert darüber, nimmt ihn in seine Gedankenwelt auf, gibt ihm das Gefühl, wertvoll zu sein. Anregungen und Empfehlungen formuliert er weise und unaufdringlich, nie ohne den Hinweis, dass das allein seine Meinung ist und man das auch anders sehen kann. Die Menschen verbringen gern Zeit mit ihm. Er ist mit seinem Wissen und seinem Rat eine Bereicherung für jeden. Manchmal, wenn ich eine Frage im Kopf umherschwirren habe, kann ich es kaum erwarten, ihn wieder zu treffen, um mit ihm darüber zu sprechen, von seinem Wissen und seinen Gedanken zu profitieren. Er überrascht jedes Mal mit einem anderen Aspekt, einem intelligenten Ansatz. Dank lehnt er stets erschrocken und beschämt ab. „Ich weiß doch im Grunde nichts. Ich muss mich noch so viel bilden und noch einen so langen Weg gehen“, meint er dann immer. Er denkt das wirklich, wenn er das sagt. Alle anderen können darüber nur schmunzeln und denken insgeheim: Bruder, du bist der intelligenteste Mensch, dem ich je begegnet bin!
Mein Opa sagt immer: „Auch der Kamel ist groß. Dennoch läuft er dem Esel hinterher.“ Will heißen: Es ist keine Kunst, groß zu sein, solange man mit seiner Größe nur hochmütig und den Menschen nicht nützlich ist.
Darum: „Sei bescheiden auf der Welt, so wird Allah dich lieben! Und sei gegenüber den Menschen bescheiden, so werden dich die Menschen lieben.“ – Prophet Muhammad (s.a.v.)
Denn: „Jede Religion hat einen Wesenszug und der Wesenszug des Islam ist die Bescheidenheit.“ – Prophet Muhammad (s.a.v.)
Ich wünsche allen voran mir und uns allen sehr viel Bescheidenheit und Demut in allen Dingen, die wir tun.
Hallo Betül,
wirklich ein sehr schöner Text. Ich lese regelmäßig deinen Blog und finde deine Texte immer sehr interessant. 🙂 Du schaffst es wirklich, mir zu vermitteln, dass der Islam an sich viel mit der Würde des Menschen und der Reflektion des eigenen Handelns zu tun hat. Dank deinem Blog und Texten wie dem hier oben kann ich den spirituellen Gehalt des Islams viiieel besser verstehen und inzwischen immer besser nachvollziehen, was der Islam eigentlich für meine muslimischen Mitmenschen bedeutet. In meinem Viertel wohnen zum Beispiel viele Muslime und sie waren mir oft recht fremd bzw. irgendwie unnahbar, auch durch das Kopftuch etc.
Aber inzwischen kann ich mir schon besser vorstellen, was das Tragen des Kopftuchs und ihre muslimische Identität für sie bedeutet.
Dein reflektierter Schreibstil und die Vielfalt deiner Themen finde ich super! Wie soll ich sagen, also ich hab das Gefühl, dass du sehr offen an alle möglichen Themen und deine Mitmenschen herangehst und nicht zu allem eine vorgefasste Meinung hast. Und das merkt man auch an deinen Texten, die sind immer wieder neu und überraschend. 🙂
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