Es ist verrückt. Die Wege Gottes sind unergründlich. Es ist wunderbar und so aufregend, mit welchen Menschen Er unsere Wege auf welche Art kreuzen lässt. Mein Treffen mit Katja.
Am Samstag kaufen wir mit Nemi Decken, Kissen & Bezüge für Flüchtlinge bei Ikea ein, die wir aus (euren) Spendengeldern finanzieren. Erst nehmen wir uns jeweils einen Einkaufswagen, erkennen aber schnell, dass sie nicht reichen werden. Ich gehe einen weiteren Wagen holen, später hole ich zwei weitere. Übrigens: Zwei Kopftuchfrauen mit fünf vollbeladenen Einkaufswagen fallen echt unheimlich auf. Außerdem: Sie lassen sich zu zweit kaum schieben. Als wir zur Kasse gehen wollen, spreche ich eine Ikea-Mitarbeiterin an. „Eigentlich würde ich euch gerne helfen“, erwidert sie, zeigt uns eine Abkürzung zur Kasse und schiebt selbst zwei Wagen. Wir sehen aus wie eine Entenfamilie und sind unheimlich dankbar für die Hilfe der Entenmama.
Draußen kommt es, wie es kommen musste: Mein Kofferraum war bereits voll mit anderen Spenden und es passten „nur“ vier Einkaufswagen auf die Rücksitze und den Beifahrersitz und auch obwohl wir alles bis zur Decke befüllten und drückten und schoben, es wollte nicht alles hinein passen. Gut, dachte ich, Berlin hilft gerade ja so wunderbar Flüchtlingen. Wenn ich auf dem Ikea Parkplatz jemanden frage, ob er uns den letzten Einkaufswagen zur Notunterkunft fahren kann, wird sich sicher jemand bereit erklären. Ich, die ich mich sonst nicht einmal traue, nach dem Weg zu fragen, fange also an, einfach mal Leute anzuquatschen und um Hilfe zu bitten. Bald werde ich aber auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Gut 20 Menschen frage ich. Die Hälfte von ihnen hat es „wirklich ganz eilig“, für die andere Hälfte liegt die „Flüchtlingsnotunterkunft nicht auf meinem Weg“. Ganz ehrlich: Ich verstehe die Zurückhaltung und ich verurteile die Absagen wirklich in keinster Weise! Dennoch kann ich nicht umhin zu denken: Ach was, Moabit liegt auch für eine Neuköllnerin nun wirklich nicht auf dem Heimweg. Seit Tagen war ich schon im Auto unterwegs und fing schon an, mein Auto zu hassen. Das einmalige Hinfahren einer Spende hätte wirklich nur eine halbe Stunde in Anspruch genommen. Darum, meine allerliebsten Berliner: Vielleicht könnt ihr euch ja beim nächsten Mal, wenn sich für euch eine so konkrete Hilfsmöglichkeit ergibt, einen kleinen Ruck geben.
Nur zwei Menschen habe ich wirklich abgenommen, dass sie helfen wollten. Eine junge Frau meinte, sie hätte eine Verabredung, zu der sie müsste und würde mir nur mit schlechtem Gewissen absagen, weil ich von Flüchtlingen gesprochen hatte. Und ein Mann, dem es richtig peinlich war, abzusagen, weil er Veranstalter eines Festivals war und selbst noch sein Auto beladen musste. Er hat sich bestimmt zehn mal entschuldigt.
Irgendwann habe ich die Hoffnung aufgegeben, mein Handy gezückt und Murat angerufen. Murat ist ein Engel aus der Sehitlik Moschee und oft mein Retter in der Not. Auch heute hatte er mich eigentlich schon gerettet, denn unser Einkauf hatte doch so lange gedauert, dass ich es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde, das warme Essen, das wir für die Flüchtlinge organisiert hatten, abzuholen. Murat wartete schon im Restaurant auf mich, um mir beim Einladen zu helfen. „Abla“, meinte er irgendwann zu mir, „ich bin im Restaurant „zufällig“ auf Resul und seine Familie gestoßen. Sie haben ein großes Auto und wollen uns gerne spontan helfen. Ich fahre das Essen jetzt mit ihnen direkt zu den Flüchtlingen, dann brauchst du nicht noch einmal nach Kreuzberg fahren!“ Nun bat ich Murat, auch noch einen Abstecher zu Ikea zu machen. Gerade, als ich noch mit Murat telefonierte, fuhr die Frau vor, die eigentlich eine Verabredung gehabt hatte. Eigentlich war sie bereits weggefahren, nachdem sie mich noch eine Weile beobachtet hatte. Nun hatte sie doch ihr Gewissen nicht in Ruhe gelassen und sie war umgekehrt. „Kommt schon, ich fahr‘ euch!“, sagt sie und ich bin total baff. „Ehrlich jetzt?“, kann ich nur fragen und Murat ins Telefon rufen: „Hat sich erledigt, fahr‘ direkt hin!“ Katja fährt mir hinterher. Sie kommt ursprünglich aus Sachsen, erfahre ich später und hatte keine muslimischen Freunde oder Bekannte. Als wir an der Moschee ankommen, verpasse ich die Auffahrt und halte zunächst auf einer Ausladespur auf der Straße. Auch Katja will zurück setzen – und fährt dabei auf ein Auto auf, das hinter ihr gefahren war. Ein Unfall hatte uns gerade noch gefehlt. Mir tut das so unendlich leid und ich fühle mich schrecklich und verantwortlich. Ich schreibe mir Katjas Nummer auf, während wir auf die Polizei warten und die Helfer vor der Moschee schon einmal unsere Autos ausladen. Ich will den Schaden übernehmen. Katja hingegen ist so lieb, dass sie sagt, ich hätte nichts damit zu tun, es sei ihre Unachtsamkeit gewesen, der Unfall wäre ihr heute auch sicher ohne uns passiert und sie beginnt, ihr Auto mit auzuladen. „Katja“, sage ich, „das musst doch nicht auch noch du machen“ und muss sie fast zwingen, mir die Arbeit zu überlassen. Gott hat uns auf einen Engel treffen lassen, jetzt ist es offiziell.
Nach der Schadensaufnahme durch die Polizei biete ich Katja an, doch noch kurz mit rein zu kommen und zumindest eine Kleinigkeit zu essen. Merve unterhält sich mit ihr, während ich mir erst einmal ansehen will, wie die Unterbringung der Flüchtlinge aussieht. Nur Hajjir, die Tochter des Imams der Moschee, der die Flüchtlinge zu sich holte, führt mich herum. Ein weiterer Engel. Seit Freitag Nacht ist die Medizinerin ununterbrochen für die Flüchtlinge im Einsatz und sich für keine Arbeit zu schade. Dabei ist sie immer ruhig und freundlich zu allen. Ich bewundere sie.
Merve möchte Katja den islamischen Grundsatz erklären, dass alles im Leben einen Sinn hat und auch Schicksal ist und sie nicht allzu traurig über den Unfall sein soll und sucht nach den richtigen Worten. „Ja ja“, meint Katja, „das denke ich auch!“ Dann erzählt sie, wie sie zu uns kam und beschäftigt uns mit ihrer Geschichte auch Tage nach unserem Kennenlernen. Wir haben alle eine Gänsehaut: „Heute habe ich von einem Straßen-Rosenverkäufer einen Bund Rosen geschenkt bekommen, da er Feierabend machen wollte“, erzählt sie. „Nur deswegen bin ich heute zu Ikea gefahren: Ich hatte keine Vase für die Rosen zu Hause und wollte dort eine kaufen. Allein deshalb bin ich auf euch gestoßen, bin hierher gefahren. Hätte ich den Unfall nicht gebaut, wäre ich gleich weiter gefahren und wäre nicht mit rein zum Essen gekommen. Dann hätte ich euch gar nicht kennen gelernt und auch nicht über das Schicksal der Flüchtlinge erfahren.“ Wir sind baff. Vor allem auch darüber, wie sie die Schicksalskette beschreibt. Katja unterhält sich noch eine Weile mit den Flüchtlingen und hört sich ihre Geschichten an. Bei der Verabschiedung drücke ich sie ganz fest: „Katja. DANKE!“ Katja muss sich wegdrehen. Sie hat Tränen in den Augen.
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…habe ich auch :'(. Sehr schöner Artikel.
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