„Unsere Moscheen sind immer offen“, schreibe ich und denke unweigerlich, „aber sind es unsere Gemeinden auch?“ Schreibe ich mir die tatsächliche Situation gerade schön? Wie viele Moschee-Gemeinden sind darauf eingestellt, Besuch zu empfangen und sich (zumindest ein wenig), um ihn zu kümmern. In wie vielen Moscheen trifft man überhaupt jemanden an, wenn man spontan vorbei geht, der einem ein wenig erzählen kann? Und muss das jede Gemeinde überhaupt? Wenn ich als Gläubige mal kurz zum Gebet in eine Moschee eile oder eine kleine Pause beim Koranlesen in Ruhe machen möchte, muss ich dann jedem freundlich begegnen und die Frage beantworten, ob ich Burkas nun toll finde oder nicht? Ich verstehe, wenn Leute einfach mal an einen geschützen Ort gehen wollen, an dem sie derartigen Fragen nicht ausgesetzt sind und gestresst reagieren, wenn man sie doch mit so etwas konfrontiert. Schließlich war auch ich bereits in Synagogen, in denen ich unfreundlich empfangen und in Kirchen, in denen ich argwöhnisch beäugt wurde und bei keinem meiner Besuche in einem Hindu-Tempel traf ich bisher jemanden an, der Deutsch mit mir sprechen konnte. Natürlich schließe ich von negativen Erfahrungen nicht auf ganze Religionsgemeinschaften. Aber ich bin, glaube ich, eine von nicht vielen Menschen, die sehr gute jüdische, christliche und hinduistische Freunde hat, bei denen ich meine Sorgen und Fragen abladen kann und einen jahrelangen Erfahrungsschatz und Erlebniswelt mit ihnen teile, aus dem ich schöpfen kann. Was ist aber mit jenen, die an unfreundliche Menschen geraten und keine guten Freunde zum Ausgleich haben? Was ist mit jemandem, der auf den „Unsere Moscheen sind immer offen!“ Slogan hin in eine Moschee geht – und prompt angemotzt wird. Was denkt er dann über Moscheen und Muslime?
Kaum 24 Stunden später sollte ich eine Antwort bekommen. Ich warte gerade auf meinen Chef, als mein Handy vibriert: „War gerade in der (…) Moschee, voll (die) Katastrophe, wie gerade mit zwei Deutschen umgegangen wurde“, schreibt eine Freundin. Später erzählt sie, dass sich ein nicht-muslimisches Pärchen den Gebetsraum anschauen wollte und leise darüber diskutierte, wo genau sie die Schuhe ausziehen mussten. Da trat er auf eine Stufe zum Raum, die bereits mit Teppich ausgelegt war (und darum nicht mehr mit den Schuhen betreten werden sollte), als plötzlich ein Mann wortlaut Einhalt gebot und schimpfte, er dürfe dort keinesfalls hintreten. „Ist ja schon gut“, hat das Pärchen noch gesagt, als meine Freundin verschwand. Ihr war das einfach zu peinlich. Der Schuh-Komplex der Muslime. Wie viele Herzen er wohl schon gebrochen hat?, frage ich mich. Auch ich habe in meiner Gemeinde ein Mitglied, der es sich nicht nehmen lässt, mich jedes Mal, wenn er mich sieht, anzumahnen, ich müsse auf jeden Fall darauf achten, dass die Schuhe der Gäste ordnungsgemäß ausgezogen werden – auch dann, wenn ich gar keine Führung gebe und keine Gäste weit und breit zu sehen sind. Mehrere Male stand er bei meinen Führungen schon vor der Tür und hat bei allen 40 Teilnehmern darauf gestarrt, ob auch wirklich kein Millimeter Teppich berührt wurde. Mehrere Male hat er mich bereits vor versammelter Mannschaft angemeckert und mit den Augen gefunkelt – Auf Türkisch, Gott sei Dank. Man steht da, als Repräsentant seiner Religion, redet von seiner Schönheit, von Verständnis, von Liebe und Frieden – und wird zum Beweis wegen Schuhen angemotzt. Innerlich ist man in diesem Moment einem Nervenzusammenbruch nahe. Äußerlich hat man schon lange gelernt, Ruhe zu bewahren und demonstrativ zu Lächeln. Für die Gäste. Man will schließlich auf Teufel komm raus die Haltung bewahren und die eben erzählte Theorie nicht zerstören. Den Gästen bietet sich also ein vollends verwirrendes Bild eines auf Türkisch aufgeregt redenden Mannes, den sie nicht verstehen und einer fröhlich in seine Richtung lächelnden Moscheeführerin.
Aber was bleibt einem übrig? Unsere Gemeinde besteht zu 50 % aus Menschen, die zuckersüß sind, älteren gerne Tee, jüngeren gerne Bonbons anbieten. Den Kindern über den Kopf streichen, die Erwachsenen in den Gebetsraum einladen. Und dann haben wir Leute, die eigentlich wahnsinnig nett sind, aber in der Moschee einfach mal ihre Ruhe haben wollen. Und dann haben wir Menschen, die einfach über alles nörgeln (- das sind die perfekt integrierten). Und dann haben wir ein paar Verrückte. Aber wer hat die nicht. Jedes Dorf hat seinen Trottel. Eine Moschee auch. Was ist, wenn du dich nun mit deinem medial geprägten Bild von gewalttätigen Männern und kriegerischen Muslimen in die Moschee traust – und an den Trottel gerätst? Kennst du das: Du bist mit der Bahn unterwegs und neben dir sitzt ein Kotzbrocken, der sich fürchterlich aufregt, weil dein Mantelzipfel sein Bein streift. Gegenüber von dir sitzt eine Grinsebacke, die euch beobachtet hat und dir freundlich Mut zu lächelt. Beide, der Kotzbrocken und die Grinsebacke, gehen in die selbe Synagoge, in die selbe Kirche, in die selbe Moschee. Du kannst an den einen oder an den anderen geraten. Am besten wäre, du gerätst an beide, wie im Zug und erlebst Vielfalt. Aber wer hat schon so ein Glück.
Wir machen manchmal Herzen kaputt, weil uns Schuhe wichtiger sind. Einen Teppich kann man notfalls saugen oder waschen. Wie wollen wir die Herzen wieder zusammen flicken? Wenn der Mann wegen der Schuhe meckert, lächle ich im Grunde aus Verlegenheit und aus der Angst heraus, dass sich Menschen in ihren Vorurteilen bestätigt fühlen könnten. Dabei sollte ich mich entspannen. Eigentlich, denke ich schließlich, sollte ich mich einfach umdrehen und ganz einfach sagen: „Liebe Leute, auf dieser Welt gibt es Kotzbrocken und Grinsebacken. Ich bin die Grinsebacke. Herzlich willkommen in unserer wunderschönen Moschee, die immer offen ist, weil das Gottes Haus ist und Gott ist für alle Menschen da. Achtet bitte beim Reingehen darauf – dass ihr grinst.“ Auch wir Muslime sind eben unterschiedlich und Menschen. Unsere Moscheen sind aber offen. Wenn ihr also an einen Kotzbrocken geraten solltet – Sucht euch auch die Grinsebacke!
Und in Kirchen gibt es noch die Betschwestern, die Dir nicht sagen, was Du falsch machst (ein Gast kann ja nicht alles wissen), aber hinter Deinem Rücken tuscheln, am besten so, dass Du es mitkriegst.
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