betül ulusoy

Wenn Frauen Frauen diskriminieren

Sie sucht nach einem Ausbildungsplatz, doch die Suche gestaltet sich schwieriger als gedacht. Schließlich darf sie ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis antreten. Mit Kopftuch. Am Ende wird ihr ein Übernahmeangebot als Auszubildende gemacht. Ohne Kopftuch. Sie wehrt sich zunächst. Eine Patientin habe sich beschwert, sagt ihre Chefin, außerdem sei auch sie gegen das Tuch. Sie redet von Freiheit und Frauenrechten, ganz freiwillig könne sie es ja ohnehin nicht tragen, sie würde ihr helfen, sich zu befreien, Argumente gegen den Vater zu haben und außerdem: Sie hätte doch bestimmt ganz wunderschönes Haar, wie ihre Landsleute sie ja immer hätten, die bräuchte man doch sicher nicht verstecken. Für sie erscheint die Lage ausweglos. Sie tritt den Ausbildungsplatz an. Morgens fährt sie mit Kopftuch in die Praxis, legt es in der Umkleide ab, abends legt sie es dort wieder an und verlässt mit Tuch die Praxis. Drei Jahre lang.

Ab und zu wollen Familienfreunde oder Bekannte zur Prophylaxe zu ihr in die Praxis. Dann wird sie immer panisch und fragt ihre Mutter, ob sie denn wüssten, dass sie dort ohne Kopftuch arbeitet. Sie leidet schließlich darunter und sie möchte lieber allein leiden, ohne Mitleid, ohne Fragen, ohne peinlich berührt zu sein.

In der Praxis läuft es derweil gut. Schwierige Fälle oder Patienten lässt ihre Chefin bald schon auf die Tage legen, in denen sie in der Praxis ist. Bei ihren Kolleginnen ist sie beliebt. Sie hat eine freundliche, leichte Art, arbeitet präzise, sauber und geschickt. Sie hatte schon als Kind eine ruhige Hand und mochte Kleinteiliges. Das kommt ihr jetzt zugute.
Auch privat läuft es gut bei ihr. Sie ist verliebt, sie verlobt sich, im Spätsommer möchte sie heiraten. Dann hat sie auch schon ihre Abschlussprüfungen hinter sich und ihre Ausbildung in der Tasche. Weil alle in der Praxis mit ihrer Arbeit zufrieden sind, geht sie davon aus, dass sie dort auch übernommen wird. Aber ihre Chefin kommt nicht darauf zu sprechen, auch wenn nun schon in wenigen Wochen ihre Prüfungen anstehen. Irgendwann spricht sie ihre Chefin selbst darauf an. „Du weißt, wie gerne ich mit dir arbeite“, sagt diese, „deine Arbeit machst du ohne jegliche Beanstandung. Aber du heiratest bald“. Sie versteht nicht, also klärt sie ihre Chefin auf. Bei ihren Landsleuten sei es so, dass sie gleich nach der Heirat Nachwuchs zeugen würden. Sie wolle aber niemand einstellen, der sich ohnehin bald in den Mutterschutz verabschieden würde. Sie verneint. Sie ist erst Anfang zwanzig, da denkt sie noch gar nicht an Kinder. Sie möchte arbeiten, unabhängig sein, ihre Zweisamkeit genießen. Ihre Chefin allerdings schenkt ihr kein Ohr. Sie hätte ja kein Mitspracherecht, sie müsse Kinder bekommen, gleich nach der Heirat, das werde so von ihr verlangt, von der Familie und sie müsse dem nachkommen, das sei nämlich so bei ihren Landsleuten, sagt sie erneut, im Islam. Sie hingegen versteht nicht, warum sie gleichzeitig vom Islam und ihren Landsleuten spricht. Der Islam ist schließlich keine Volkszugehörigkeit. Und auch wenn sie türkische Wurzeln hat, sie ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Doch es bringt alles nichts. Ihre Chefin hat ihr eigenes Bild im Kopf, von dem sie nicht abrücken wird.

Sie geht geknickt und ungläubig nach Hause. War das jetzt die Befreiung, von der ihre Chefin vor drei Jahren gesprochen hatte? Hausfrauendasein wider Willen? Für diese Stelle war sie gar bereit gewesen, ihr Kopftuch abzulegen, sie hatte sich gebeugt und angepasst, getan, was von ihr verlangt wurde, hatte sich jahrelang ins Zeug gelegt, beanstandungslos jede Aufgabe erledigt, die ihr übertragen worden war und doch hatte all das am Ende nicht gereicht. Wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft und schließlich auch wegen ihres Geschlechts: Als Frau hatte sie das Privileg, Kinder zu bekommen und deshalb wurde ihr nun eine Festanstellung verwehrt – ausgerechnet von einer Frau.

Manchmal höre ich, dass man in Deutschland die Chance zu allem bekommt, wenn man es nur will. Bundespräsident Gauck hatte mir das einmal gesagt. Manchmal höre ich, dass man für (Mehrfach-)Diskriminierung doch sicher selbst verantwortlich sei. Man hätte Fehler gemacht und müsse doch Kompromisse eingehen können. Doch manchmal möchte ich zurück fragen: Woran trägt sie nun Schuld? Sie hat es doch sehr gewollt.

Ein Kommentar zu “Wenn Frauen Frauen diskriminieren

  1. thechickonspeed
    10. Juni 2016

    Wirklich nicht trivial und nicht nur schwarz/weiß zu betrachten. Die Unterstellung, gleich nach der Hochzeit in Elternzeit gehen zu wollen, trifft keinewegs nur Muslime, sondern ist ein häufiger Grund, auch kinderlose Frauen mit Mitte 30 auszugrenzen („Sie wollen ja sicher noch Kinder“).
    Aber noch ein weiteres Beispiel: Nehmen wir einmal an, es sei eine Position zu besetzen, die beinhaltet, dass man auch in Abendgarderobe auf Events erscheint, dass man ggf. die einzige Frau in Meetings ist und alles recht männerdominiert ist. Da kann einem Chef die Religion noch so egal sein, Du kannst trotzdem niemanden mit Kopftuch einstellen, in diesem Fall schon aus modischen Aspekten nicht.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 3. Mai 2016 von in Allgemein.