Als gläubige Muslimin muss Betül Ulusoy sich ständig rechtfertigen: für Kopftücher, für Moscheen, für ihren Glauben. Im Interview erzählt die Berliner Bloggerin von ihren Erfahrungen zwischen Vorurteilen und Selbstbestimmung.
Muslime haben es gerade nicht leicht, egal ob in Deutschland oder anderswo. Sie werden mit Idioten, die ihren Terror mit dem Koran rechtfertigen, in einen Topf geworfen und sollen sich am Ende des Tages auch noch davon distanzieren. Wir haben darüber mit Betül Ulusoy gesprochen. Sie ist 26, lebt in Berlin, ist gläubige Muslimin und bloggt und referiert regelmäßig über Themen rund um ihren Glauben und die Gesellschaft.
PULS: Hast du das Gefühl, dass Vorurteile über den Islam stärker werden, oder ist das übertriebene Panikmache durch viele Medien?
Betül Ulusoy: Menschen projizieren gerne ihre persönlichen Ängste auf andere. Eigenes Versagen gibt niemand gerne zu. Der Sündenbock kann dabei ständig wechseln. Vor zwanzig Jahren wurde eher „Türken raus!“ an die Wände geschmiert. Gerade ist es wohl leichter, Muslime oder den Islam per se verantwortlich für alles Übel auf der Welt zu machen. Insofern hat sich die Ausprägung verändert. Natürlich spüre ich die Vorbehalte gegenüber Muslimen auch in meiner Gemeinde.
Wie spürst du das?
Anschläge auf Moscheen sind europaweit ein großes Problem. Auch meine Gemeinde musste das schon mehrere Male erleben. Wir hatten auch einmal den Fall, dass Leute Schweinsköpfe in den Moscheehof geworfen oder Hakenkreuze an die Moscheewand geschmiert haben. Drohbriefe bekommen wir regelmäßig. Manchmal auch mit Asche darin, als Drohung, oder mit der Aufforderung, wir sollten in unser Land zurückkehren. Dabei sind wir in Deutschland längst in unserem Land. Besonders heftig ist es, wenn die Gemeinde sogar Polizeischutz braucht.
Wie lebt es sich damit?
Nicht so gut. Das beunruhigt nicht nur die Gemeindemitglieder, sondern auch Nicht-Muslime, die an der Moschee vorbeikommen oder sie besuchen wollen. Sie denken häufig nicht: „Die Muslime brauchen auf Grund eines Anschlags auf sie Polizeischutz“, sondern meist: „Was haben die Muslime angestellt, dass die Polizei an den Toren stehen muss?“ Und das ist sehr schade. Gleichzeitig steigen in letzter Zeit auch Angriffe auf Musliminnen mit Kopftuch. Oft auf offener Straße und am helllichten Tag. Das macht einem schon Angst. Es ist aber auch enttäuschend, denn mein Bild von meinem Deutschland ist eigentlich offen, vielfältig und tolerant. Darum versuche ich, negative Erfahrungen und Gefühle auch schnell wieder beiseite zu schieben, um genau an diesem Bild zu arbeiten.
Stichwort Kopftuch: Du trägst eines. Ist das oft ein Thema?
Ja, leider. Die Fixierung auf das Kopftuch ist eigentlich Unsinn. Trotzdem wird Musliminnen oft nachgesagt, dass das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung sei, dass wir alle nur Hausfrauen werden und Kopftuchmädchen gebären wollen, wie das Thilo Sarrazin zugespitzt hat. Dabei hatten Frauen im Islam schon von Beginn an viele Rechte und spielten immer eine große Rolle. Natürlich gibt es auch in muslimischen Gesellschaften Unterdrückung von Frauen – darin unterscheiden sich die Muslime nicht von anderen Gesellschaften, leider. Uns muss nur klar sein: Wir können Unterdrückung nicht an Religionen fest machen. In Deutschland sind unsere Frauenhäuser nicht ausschließlich von muslimischen Frauen besetzt, Religion spielt dort keine Rolle. Meine Eltern waren übrigens dagegen, als ich mich für das Tragen eines Kopftuch entschied. Mein Vater fand, ich sei zu jung für eine solche Entscheidung. Meine Mutter wollte mir negative Erfahrungen ersparen, die sie selbst in ihrer Jugend machen musste.
Hast du die dann auch gemacht?
Ja, vor allem in der Schule, also dort, wo man eigentlich eine unbeschwerte Zeit erleben sollte. Meine Schulleiterin meinte einmal zu mir: „Betül, wir müssen über dein Scheißkopftuch reden.“ Und dann musste ich mich in ihrem Büro vier Stunden vor ihr und zwei anderen Lehrern dafür rechtfertigen – und ich war noch minderjährig! Oder ein anderes Beispiel: Ein Lehrer, der meine Abiturprüfung abnehmen sollte, kam in der allerersten Stunde in den Raum und meinte: „Schon wieder eine mit Kopftuch!“ Einmal durfte ich an einem Austausch nach Frankreich nicht teilnehmen, weil ich ein Kopftuch trug. Wir wollten dort auch eine Schule besuchen, und in Frankreich darf man in der Schule kein Kopftuch tragen. Auf Grund dieses zweistündigen Schulbesuchs durfte ich an der gesamten Reise nicht teilnehmen.
Was löst dieses Kopftuch in den Köpfen der Menschen aus, die das so ablehnen?
Ich würde gerne sagen, dass es fremd wirkt. Aber so fremd ist es eigentlich auch in Deutschland nicht. Vor allem in Bayern, da haben mir schon oft Freunde erzählt, dass ihre Oma früher ganz selbstverständlich ein Kopftuch getragen hat. Aber mittlerweile ist das eher negativ konnotiert. Wahrscheinlich ist es die Unkenntnis darüber, was das Kopftuch für Musliminnen bedeutet.
Was bedeutet es denn genau?
Ich gehe gerne einen Schritt weg vom Kopftuch und betrachte allgemein die Kleidungsvorschriften im Islam, also für Mann und Frau. Im Grunde gilt: Jeder Muslim sollte lange und weite Kleidung tragen, um nicht seinen Körper zur Schau zu stellen und sich nicht über das Äußere zu definieren. Das gilt für einen Mann, der seine Muskeln aufbaut, genauso. Auch er darf seine Muskeln anschließend nicht präsentieren, sondern muss sie bedecken. Dadurch soll die Gesellschaft ein wenig entspannt und nicht so viel Wert auf Äußerlichkeit gelegt werden. Denn wenn ich mein Äußeres verhülle, was bleibt dann eigentlich von mir noch übrig? Eben nur noch mein Inneres, mein Charakter. Und wenn ich nicht mein Äußeres aufwändig schminke und herrichte, dann muss ich eben mein Inneres schmücken, meinen Charakter. Das ist das Ideal der Bedeckung. Was dann Menschen aus diesem ursprünglichen Gedanken machen, ist wieder die andere Sache. Das ist auch ein Zwiespalt zwischen Religion und Weltlichem.
Kommt es oft vor, dass Leute von dir erwarten, dass du dich von „religiös motiviertem Terror“ distanzierst?
Natürlich. Und das unabhängig davon, in welchem Land etwas passiert und wer genau der Täter ist. Ein Bekenntnis zum Islam genügt oft, um mich mit ihnen gleichzusetzen. Anders kann man nämlich eine Differenzierungsaufforderung nicht erklären. Man muss sich bewusst machen: Eine Distanzierung macht nur dann Sinn, wenn jemand im Lager derjenigen steht, von denen man sich distanzieren soll. Ergo muss ich im selben Lager mit Terroristen stehen, bin quasi selbst Terroristin. Das ist natürlich nicht nur großer Schwachsinn, sondern vor allem auch verletzend. Muslime sind gleich mehrfach betroffen: Sie fürchten sich wie jeder andere auch vor Anschlägen. Ihre Religion, die für sie für Frieden steht, wird missbraucht. Und sie haben Angst um ihre eigenen Kinder, bei denen auch die Gefahr einer Radikalisierung bestehen kann.
Wie schaut dein persönlicher Weg aus, um gegen Vorurteile zu kämpfen?
Aufklärung! Und zwar unaufhörlich. Egal, ob in Seminaren, Diskussionsrunden oder unseren täglichen Moschee-Führungen. Wir klären dort die Menschen nicht nur über den Islam auf. Wir präsentieren auch uns als Muslime – authentisch, ehrlich, menschlich. Muslime sind Menschen, mit Emotionen, wie alle anderen Menschen auch. Das vergessen viele Leute manchmal und nehmen uns als gesonderte Spezies wahr. Wenn ihnen dadurch, dass sie uns kennen lernen, wieder bewusst wird, wie normal wir sind, werden Vorurteile recht schnell abgebaut. Wir müssen generell alle mehr aufeinander zu gehen.
Dieses Interview erschien am 12.03.2015 beim Bayerischen Rundfunk als Zusatzangebot zur Dokumentation: „Vorurteile gegen den Islam: „Wir sind keine Aliens“: http://www.br.de/puls/tv/puls/muslime-in-deutschland-vorurteile-islam-100.html
Immer wieder oft zu hören: „Die meisten Opfer islamistischer Terroranschläge sind Muslime“. Stimmt. Und die meisten Opfer stalinistischer Säuberungen waren Kommunisten. Weder das eine noch das andere sagt irgendetwas über die humane oder auch inhumane Substanz der jeweiligen Ideologie.
LikeLike